(opa) Was für ein Spiel gestern. Hertha rannte Angriffswelle auf Angriffswelle aufs Lauterer Tor, im Aufbauspiel war man drückend überlegen, mit den Chancen ging man aber sehr sorglos um, denn kein einziges mal zappelte der Ball im Tor der Gäste aus der Pfalz. Die wiederum brauchten nur einen Angriff, um die Berliner Defensive wie Schuljungen aussehen zu lassen. Kein Mittelfeld, was den Angriff verhinderte, keiner aus der 4er Kette, der trotz Überlegenheit sich dem Schützen in den Weg stellte und ein Torhüter, der alles andere als glücklich in der Situation aussah. Ein Kacktor entschied das Spiel und verschärft die Krise, in die man immer tiefer hineintaumelt.
Trainer Fiel erklärte nach dem Spiel im sky Interview, woran es aus seiner Sicht gelegen habe. Man habe gut gespielt, aber einfach kein Tor erzielt. Das mag so schlüssig wie einfach klingen, aber es bleiben schon Fragezeichen. Denn den Ball in die rote Zone zu bekommen, ist das eine, das andere ist, den Ball über die Linie des Gegners zu bringen. Da scheint es Defizite zu geben, die Individualisten in der Truppe zu einer Einheit zu formen. Reese beklagte sich nach dem Spiel, er wisse nicht, wohin er flanken solle. Das lässt tief blicken und man sollte den Blick dabei nicht nur auf Trainer und Stürmer fokussieren, denn das Zusammenspiel eines Teams wird noch von einigen anderen Faktoren beeinflusst.
Bei nicht wenigen der gestrigen Torchancen gab es einen besser positionierten Spieler. Weshalb der nicht angespielt wurde, hat ggf. etwas mit mangelndem Vertrauen zu tun. Oder mit Selbstüberschätzung des ballführenden Spielers. Oder einer Mischung von beidem. Maza, Cuisance, Scherhant und Reese treten vorm Tor nicht als Team auf, sondern scheinen darüber zu streiten, wer derjenige sein darf, der den Bock umstößt. Und scheitern dabei nicht selten am eigenen Unvermögen, denn dieser Wettstreit scheint einer zwischen Spielern zu sein, die sich beweisen wollen, der am wenigsten schlechte Offensivspieler zu sein. Hertha fehlt ein “Knipser”. Damit ist man nicht allein. Aber Hertha löst dieses Defizit auf schlechtmöglichste Art und Weise.
Das, was derzeit von Hertha nach außen dringt, klingt nach durch Durchhalteparolen getarnte Untergangsrhetorik. Man weiß vermutlich längst, dass das heimliche Ziel Wiederaufstieg nicht mehr erreichbar ist. Und vielleicht weiß man auch längst, welche Konsequenzen sich ergeben. Purer Überlebenskampf, Verhinderung von Leichenfledderei, riesiger Umbruch im Sommer. Man mag Scherben von den Vorgängern übernommen haben, aber die letzten intakten Teile hat man nun auch noch zerdeppert, nachdem man den Goldrand vom Porzellan versetzt hat. Hertha wird nach den Jahren, in denen die UfA einst dien schlafenden Riesen wachgeküsst hat, nun wieder in den Schlaf geschickt. Oder eingeschläfert?
Als wäre nichts gewesen, werden dennoch weiter Stadionpläne kommuniziert. Größenwahnsinniger geht es nicht und mit kaum etwas wird deutlicher, dass der “Berliner Weg” zu einem beliebigen Slogan wie “Play Berlin” oder “Aus Berlin für Berlin” verkommen ist. Wenn er denn je mehr als das war. Denn auch sonst hat man nach außen ja Demut gepredigt, die eigene Entourage aber großzügig mit allerlei Posten und Positionen bedacht. Hatte man schon sportlich Sympathien verspielt, verspielt man nun vereinsintern Vertrauen, was sich auch an den Szenen nach dem Spiel ablesen lässt. Die Stimmung kippt auch unter den treuesten der Treuen, von denen nicht wenige mit “semper fidelis” Tattoo durchs Leben laufen. Treue allein schießt nur halt auch keine Tore.
Die nächsten Spiele mögen alle bei 0:0 anfangen, aber mit der mentalen Hypothek im Rücken wird der eine oder andere jetzt schon in den Schonmodus wechseln. Das gilt nicht nur für die Spieler, sondern auch für nicht wenige Fans. Als ich gestern vor dem Spiel noch Essen war und meine Begleitung fragte, ob ich ich nicht langsam losmüsse, sagte ich, dass es schon nicht so schlimm sei, wenn ich die ersten Minuten verpasse. Ergänzend hörte ich, während ich mich über meine Gleichgültigkeit erschrak, ein “Du meint, die verlieren auch ohne Dich?”. Ein gequältes Lächeln befand sich auf meinem Gesicht, an das ich mich beim Lauterer Treffer erinnerte.
Schonhaltung und Gleichgültigkeit von Fans sind die letzten Verteidigungslinien eines Fußballvereins, der ja in erster Linie neben sportlicher Darbietung auf den Verkauf von Emotionen als Projektionsfläche für Werbetreibende angewiesen ist. Früher war es mal Premiumhersteller Audi, heute ist es nur noch ein halbseidene Leasinggesellschaft, die als Autopartner unseres Herzensverein unterstützt. Noch laufen wir in Nike auf, demnächst dann in der Kleidung eines Herstellers mit zweifelhaftem Ruf. Beim Berliner Weg scheint klar zu sein, wohin er führt.
HaHoHe, Euer Opa