(opa) Am Sonntag steigt die Mitgliederversammlung von Hertha BSC im City Cube und diese wird richtungsweisend werden. Zwar berufen sich alle Kandidaten auf den Berliner Weg und alle berufen sich auf das Vermächtnis des überraschend verstorbenen Kay Bernstein, aber von der Ausrichtung her scheint es doch reichlich Unterschiede zu geben, die deutlich machen, dass die von allen immer wieder betonte Einigkeit und der Wille, Gräben zuzuschütten, reine Makulatur sein dürfte. Durch unseren Verein geht ein tiefer Riss und die Wahl wird nicht nur darüber entscheiden, ob dieser vertieft wird, sondern im Zweifel auch darüber, ob dieser Verein, der eine Zeit lang mit “Die Zukunft gehört Berlin” warb, überhaupt eine Zukunft hat.
Im Folgenden versuche ich, die Kandidaten aus meiner Sicht zu portraitieren. Wer schon einmal Wahlen auf Mitgliederversammlungen erlebt hat, weiß, dass diese eigenen Dynamiken folgen und dass eine überzeugende Vorstellung auf der Mitgliederversammlung und das anschließende “Grillen” durch die Mitglieder nicht selten entscheidender ist als das im Vorfeld propagierte Programm, welches (wie sonst auch in der Politik üblich) mehr aus Stanzen wie “mehr aus Nachwuchsarbeit machen” besteht, die zwar populär sind, aber eben selten Substanz haben. Auch im Fußball sind die Dinge bisweilen komplexer als man es dem Wähler zumuten möchte.
Fabian Drescher: Als Interimspräsident hat er den Verein durch die Schockstarre geführt, die der Tod von Kay Bernstein erzeugt hat. Selbst diejenigen, die Bernstein und seinen von seinem Vorgänger angenehm abhebenden Weg ablehnten, dürften getrauert haben, dass ein charismatischer und durchaus einender Präsident viel zu früh aus dem Leben schied. Drescher, der sich selbst nie ins Rampenlicht drängte und der auch neben Bernstein meist blass wirkte, hat den Rückhalt weiter Teile der Fanszene und steht dort glaubwürdig für einen verständigen Dialog zwischen Fußballromantikern und dem knallharten Business, zu dem der Fußball geworden ist. Seine vermeintliche Schwäche könnte in diesem Fall eine Stärke sein, denn auch er kann integrativ wirken, ohne eine Seite abzustoßen. Seine Angriffspunkte sind allerdings, dass er für ein “weiter so” steht, was eben auch damit zusammenhängt, dass er mit im Präsidium saß, als 374 Mio. € Windhorstgeld wirkungslos verbrannten, als Hertha neue Schulden auftürmte, als man abstieg und ganz in der Tradition längst überwunden geglaubter Verhaltensmuster kurz vor der Wahl mit Weber und Zecke die Verträge langfristig verlängerte. Dennoch gehört er zu den Kandidaten, die die besten Chancen auf eine Wahl haben.
Uwe Dinnebier: Als Kontrast zum Amtsinhaber tritt ein Mann an, der den eigenen unternehmerischen Erfolg und ein gutes Netzwerk in Wirtschaft und Verein mitbringt. Genau das kann aber Fluch und Segen zugleich sein. Unternehmerischen Erfolg hatte auch Werner Gegenbauer und gleichzeitig hat er Hertha nach dem Putsch gegen Hoeness in dreistellige Millionendefizite und in den sportlichen Niedergang geführt. Und das Netzwerk, zu dem der geschasste Aufsichtsratsvorsitzende Brüggemann gehören dürfte, hat nicht selten den Eindruck hinterlassen, dass es ihnen weniger um den sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg des Herzensvereins ging, sondern wie man den Verein primär für die eigenen Zwecke nutzen kann. Vollmundige Ankündigungen nach frischen Investorengeldern, die zwar dringend benötigt werden, aber angesichts der Gesellschafterstruktur eher schwierig anzuschmelzen sein dürften, stoßen zudem in dieser unmoderierten Art bei der Fanszene auf Ablehnung, die eher ein zurück zur Nostalgie wollen (auch wenn das reichlich naiv sein dürfte, weil auch das allein den Verein nicht retten wird). Dinnebier wird bei seiner Vorstellung am überzeugendsten und der Fragen an die Kandidaten sicher am vorsichtigsten sein müssen, aber so ist das nun einmal mit Herausforderern. Dennoch dürfte auch er sehr gute Chancen haben, die Wahl zu gewinnen.
Stepan Timoshin: Wer sich beim ersten Auftauchen des Namens fragte “Stepan wer?” dürfte genau wie ich zu einer Generation gehören, bei der Sneakers als Sportschuhe und nicht als Wertgegenstand galten. Ein Selfmademillionär, über den es allerdings immer wieder auftauchende Gerüchte gibt, dass er es mit kaufmännischen Gepflogenheiten nicht immer allzu ernst nehmen soll. Dennoch umgibt ihn der Nimbus des Machers, der nach eigener Aussage Hertha selbstlos zum Erfolg verhelfen möchte. Und der nach eigener Aussage “Aufräumen” und den vorhandenen Frust über verkrustete Strukturen und Filz aufbrechen will. Er ist am ehesten der Kandidat der “Remmidemmi”-Fraktion, die anfällig ist für Versprechungen, baldmöglichst wieder Erstligafußball und Champions League zu sehen zu bekommen. Spannend wird sein, wie er beim Grillen performt. Trotz hoher Sympathiewerte bei jungen Mitgliedern sehe ich ihn eher als Außenseiter bei der Wahl zum Präsidenten.
Wolfgang Sidka: Der mittlerweile 70jährige Ex-Spieler ist beinahe der vollständige Kontrast zum Sneakersmillionär. Sidka, der nach seiner aktiven Karriere nirgendwo heimisch geworden zu sein scheint, tauchte in den letzten Jahren immer wieder mal im Herthaumfeld auf. Als seinerzeit eine Opposition Werner Gegenbauer stürzen wollte, verhielt er sich “abwartend”, war aber durchaus wahrnehmbar. Dennoch hat er im Vereinsleben bei Hertha nie Tritt gefasst und es ist auch unklar, wofür er inhaltlich wirklich stehen will. Diese Nichtgreifbarkeit könnte vielleicht für eine Überraschung bei der Wahl sorgen, denn er würde keiner der sich in Schützengräben gegenüberliegenden Fraktionen weh tun. Nichtgreifbar bedeutet aber nicht nicht angreifbar und so werden sicher Fragen laut werden, wo er sich denn die letzten Jahre konkret für Hertha engagiert hat. Das reicht daher nur für eine Außenseiterposition.
Olaf Brandt: Aproppos Außenseiter: Mit Olaf Brandt betritt sicher eine in Teilen der Fanszene schillernde Figur den Ring, der mit Berliner Schnauze und flotten Sprüchen davon ablenkt, dass seine eigene Biographie alles andere als unangreifbar zu sein scheint, ihm werden in diesem Zusammenhang Kontakte zu zwielichtigen politischen Szenen nachgesagt. Herthas Fanszene ist vielfältiger, als es manchem “Vielfaltfan” recht sein dürfte. Dennoch hat er gegen allen aufkommenden Gegenwind bis zuletzt an seiner Kandidatur festgehalten und gibt selbstbewusste Ziele wie die Meisterschaft 2030 aus und trifft damit zumindest bei einem Teil der Wählerschaft sicher einen Punkt. So unbedarft er scheinen mag, so wenig Eigeninteresse dürfte man ihm allerdings auch unterstellen und ihm darf man als Imbissbesitzer vorm Oly auch eine gewisse Nahbarkeit nicht absprechen. Dennoch schätze ich seine Chancen eher im homöopathischen Bereich ein.
Die Mitglieder tun gut daran, einen längeren Aufenthalt im City Cube einzuplanen, denn es wird vermutlich mehr als ein Wahlgang erforderlich werden, um das Präsidium zu wählen. Und die in den Schützengräben aufeinander lauernden Fraktionen werden dafür sorgen, dass bei den Fragen an die Kandidaten ordentlich Schrapnelle durch die Luft fliegen werden, um den Kandidaten zu desavouieren. Dr. Lentfer wird alle bewundernswerte Beherrschung benötigen, um die Versammlung in Ruhe und der nötigen Ordnung zu leiten. Unterhaltsam wird es allemal.
Wie bei der letzten Wahl sei an dieser Stelle noch der Hinweis erlaubt, dass die Satzung in § 14. Nr. 1 ausdrücklich vorsieht, dass, wenn keiner der Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreicht, damit auch keiner gewählt ist. Für diesen Fall bliebe Drescher kommissarisch im Amt und § 18 Nr. 4 legt fest, dass bei einer Nachwahl “Kandidaten, die der Mitgliederversammlung bereits vorgeschlagen worden sind und nicht die erforderliche Mehrheit gefunden haben, sollen bei dieser Wahl nicht noch einmal vorgeschlagen werden”. Es gäbe also kein Chaos oder Vakuum, auch wenn das einige immer wieder fälschlicherweise suggerieren.
Jetzt seid ihr im Rahmen einer letzten Vorwahlbefragung dran. Wen würdet ihr wählen und was denkt ihr, wer wird der nächste Präsident von Hertha?
Bei der Wahl zum Präsidenten würde ich für folgenden Kandidaten stimmen:
- Drescher (43%, 72 Votes)
- Dinnebier (31%, 51 Votes)
- keinen der genannten (12%, 20 Votes)
- Sidka (5%, 9 Votes)
- Timoshin (5%, 8 Votes)
- Brandt (4%, 6 Votes)
Total Voters: 166
Wer wird Deiner Meinung nach der nächste Präsident von Hertha BSC?
- Drescher (74%, 127 Votes)
- Dinnebier (15%, 26 Votes)
- keiner der genannten (6%, 10 Votes)
- Sidka (3%, 5 Votes)
- Timoshin (1%, 2 Votes)
- Brandt (1%, 2 Votes)
Total Voters: 172
HaHoHe, Euer Opa