(opa) War das ein Spiel gestern. Mit ein wenig Systemumstellung auf ein 4-2-1-3 und dem Weglassen einiger das Spiel nicht gerade belebender Spieler trat die Hertha gestern auf, wie sie gern immer auftreten könnte. Zwar reichte es im Spiel der Chancenwucher auf beiden Seiten “nur” zu einem Unentschieden, aber auf Augenhöhe mit Frankfurt auftreten zu können, entschädigte schon ein klein wenig für den bisher eher holprigen Saisonstart mit dem Pokalaus und der Klatsche im Derby. Das alles wurde begleitet von einer beeindruckenden Choreo des halben Stadions, die hübsch anzusehen war, wenngleich die schieren Mengen der zum Einsatz gebrachten Winkelemente zunehmend nordkoreanische Züge annehmen.
Doch Hertha wäre nicht Hertha, wenn diesem Keim der Hoffnung nicht eine viel zu große Fußsohle darauf herumlatschend gegenüberstünde. Nach nur einer Nacht der Fanseelenbalsamierung knallte heute früh die Nachricht in die zurückgefundene Harmonie, dass Torhüter Jarstein nach einer wohl lautstarken Auseinandersetzung mit Trainerteam und Management suspendiert wurde und man die Trennung vom norwegischen Schlussmann in die Wege geleitet hätte. Berichten zufolge hatte Jarstein die Arbeit von Torwarttrainer Menger kritisiert und sich dabei wohl arg im Ton vergriffen. Im sonst so ruhig wirkenden Jarstein scheint ein kleiner Vulkan innezuwohnen, wenngleich er in der Sache wohl nicht so falsch liegen dürfte, schließlich ist das Torwartspiel der Berliner Schlussleute nach der immer noch strittigen Entlassung von Zsolt Petry nicht gerade ein Ruhmesblatt und auch beim Vorgängerverein des aktuellen Torwarttrainers war man nach dessen Abgang alles andere als böse über selbigen.
Statt sich über die vielen herausgespielten Torchancen, das schnelle Umschaltspiel, die sehenswerten Spielzüge, die wiedergewonnene Stabilität in der Statik des Spiels zu freuen, wird bei Hertha also über den Auslauftorhüter und internes Gezicke gesprochen, welches besser intern geblieben wäre. Doch das scheint bei Hertha nicht zu gehen. Dabei gäbe es noch viel mehr Gründe zur Freude. Offensivspieler, die nicht nur offensiv schöne Angriffe einleiteten, sondern auch extrem diszipliniert nach hinten mitarbeiteten und damit dazu beitrugen, dass ihre Hinterleute nicht aussahen wie begossene Pudel. Hertha hätte locker 5-6 weitere Tore schießen können, ja, sogar beinahe müssen, schließlich hat man etwas aufzuholen. Aber egal, wer da in der Box vorm Tor stand, schaffte es, das Leder neben oder meist übers Tor zu dreschen, obwohl die Frankfurter Defensivreihe bereits geschlagen war. Man bekam jedenfalls eine Ahnung, weshalb die Bayern den Frankfurtern zum Saisonauftakt 6 Dinger einschenken konnten.
Bockstark fiel vor allem Eigengewächs Mittelstädt auf, der sowohl defensiv als auch offensiv einer der auffälligsten auf dem Platz war. Wer sich noch an dessen erste Auftritte in der Bundesliga erinnerte, wo er sein oft falsches Stellungsspiel oft nur durch Fouls zu lösen wusste und wo ihn jeder Rempler zu Boden brachte, sieht heute einen athletisch starken Spieler mit enormer Spielintelligenz, der als einer der wenigen mit dem linken Fuß aus dem vollen Lauf einigermaßen präzise Flanken schlagen kann. Mittelstädts Problem ist, dass Plattenhardt im Ganzen da der etwas komplettere Spieler ist und die Tatsache, dass dieser noch zum Kapitän benannt wurde, war dann wohl das endgültige Signal, dass sich Mittelstädt umgucken muss, ob nicht anderswo ein Stammplatz realistischer zu ergattern ist.
Die “neuen”, allen voran Wilfried Kanga und Ejuke bildeten eine beinahe kongenial wirkende Einheit und waren von den Frankfurtern kaum zu stoppen. Und da sich die Frankfurter Anwehrreihen zunehmend auf die beiden stürzten, war plötzlich Platz für den sonst oft gescholtenen Lukebakio, sich positiv in Szene zu setzen. Wenn man hinter diesen dreien dann noch ein Mittelfeld wie Tousart, Serdar und Sunjic hat, dann kann das für den Gegner gefährlich werden. Hauptsache nicht mehr Boateng und Selke, deren Plätze zukünftig am Dönerstand bzw. auf der Tribüne sein sollten. Nicht unerwähnt sollte auch die Hereinnahme von Ich-rette-das-Klima-mit-dem-Privatjet-Boetius bleiben, der andeutete, dass er eine Verstärkung sein kann.
Erfreulich war auch, dass mit Scherhant der nächste Debütant aus der Akademie ran durfte und sogar der Name Dardai erhielt wieder Applaus im Olympiastadion, als dieser für den krampfenden Uremovic eingewechselt wurde. Warum Trainer Sandro Schwarz den bockstarken Kanga zur 70. rausnahm und durch Jovetic (gut, wenigstens nicht Selke) ersetzte, wirft jedoch Fragen auf. Jovetic hatte zwei Großchancen, die ein Spieler wie er mit auf dem Rücken festgebundenen Armen und verbundenen Augen machen muss. So wäre das Spiel frühzeitig entschieden und der Deckel drauf gewesen, nachdem die Mannschaft wohl im Tiefschlaf aus der Kabine kam, was zum Gegentreffer kurz nach Wiederanpfiff führte.
Auf Trainer Schwarz warten noch viele Tage Arbeit so wie die Fans auf eine klar erkennbare Handschrift von Trainer Schwarz warten. Mit dem aktuellen Kader, dessen Gesicht noch nicht endgültig sein dürfte, ist dem Trainer jedoch noch etwas Geduld zuzugestehen. Folgen Auftritte wie die gestern, wo auch das Publikum trotz einer Punkteteilung voll hinter dem Team stand und der Funke übergesprungen schien, dann kann hier etwas großes entstehen. Wenn nicht, ja, dann brodelt der schlafende Riese wohl weiter, bis irgendwann jemandem die Sicherungen durchbrennen wie Jarstein vor oder Serdar während des Spiels, der die ständigen Nicklichkeiten und Provokationen seitens der Frankfurter Spieler nicht managen konnte und mehrfach kurz vor einer gelbroten oder gar roten Karte stand.
Hertha als Jahrmarkt der Eitelkeiten auf und abseits des Platzes, der Alltag hat uns also wieder.
HaHoHe, Euer Opa