(opa) Heute starten wir aus aktuellem Anlass mit dem zentralen Gedanken in Nietzsches Philosophie, der ewigen Wiederkunft des Gleichen, welches als zyklisches Zeitverständnis für Nietzsche die Grundlage höchster Lebensbejahung sein soll. Der Herthaner kennt dieses Phänomen auch als Hamsterrad, denn auf nahezu jede hoffnungsstiftende Saisonvorbereitung folgt früher oder später im Saisonverlauf die Ernüchterung, dass der Sprung nach vorn dann doch verweigert bleibt. Kein Trainerwechsel, keine 375 Millionen Finanzspritze und nicht einmal der für 5 Mio. € Ablöse geholte Bobic konnten daran etwas verändern.
Wenn die ewige Wiederkunft des Gleichen also Ausdruck von Lebensbejahung sein soll, was ist das Leben des Herthaners dann? “Die Frage bei Allem und Jedem ‚willst du diess noch einmal und noch unzählige Male?‘ würde als das grösste Schwergewicht auf deinem Handeln liegen” formulierte es Nietzsche und zumindest kann man am Horizont erahnen, warum man sich das Jahr für Jahr antut. “Krumm ist der Pfad der Ewigkeit” heißt es in “Also sprach Zarathustra”. Soll man sich als Herthaner also in sein Schicksal fügen?
Denn auch abseits des Platzes scheint es eine ewige Wiederkunft des Gleichen zu geben. Man denke mal nur an die Diskussionen über Stadion oder die in den letzten Tagen aufgebrochene Coronadebatte, die ich gestern anfing, etwas rigoroser zu handhaben, auch wenn ich mir bewusst darüber bin, damit keine Beliebtheitspreise einzuheimsen. Auch das eine Wiederkunft des Gleichen, dass man für die Freizeit, die man hier investiert, oft mehr Schelte als Lob bekommt, obwohl jeder zum Mitmachen aufgefordert bleibt.
Immerhin haben wir gestern recht rasch wieder Tritt in Herthathemen gefunden. Die Frage, wo denn die 375 Mio. € geblieben sind, wäre eine Fortsetzung der Indiana Jones Reihe wert, Titel “Auf der Suche nach dem blauweißen Schatz”. Leider dürfte die Wahrheit ernüchternder sein als einem lieb ist. Der ist bereits im Vorfeld ausgegeben worden. Für die Nachwirkungen der Hoeness Ära, für die beiden Abstiege, für die teuer erkauften Wiederaufstiege, für heikle Finanzkonstruktionen am Rande der Insolvenz und natürlich für das, was beim Fußball am teuersten ist, nämlich die Investitionen in Beine von Menschen, die eine bessere Zukunft versprechen.
Dass bei dieser Investition dann bei Hertha meist “Hegeler statt Haaland” die Devise zu sein scheint, wo man dem Fußball der “Großen” nur staunend zuschaut, ist der Tatsache geschuldet, dass die Budgets trotz aller Krisen immer weiter gestiegen sind. Und trotz erheblich erhöhter TV Einnahmen und trotz Investorengelds reicht es dann doch nur für die altbekannten Ziele wie etablieren, überm Strich bleiben und im Pokal in die zweite Runde kommen. Dass der Fußball nun trotz diverser Sonderlocken nun doch tiefer in der Krise zu stecken scheint, macht viele rat- und einige fassungslos.
Da muss Barca das mittlerweile erwachsene Wunderkind tränenreich abgeben, der sich dann beinahe bemitleidenswert mit lediglich etwas mehr als 40 Mio. € Jahresgehalt bescheiden muss. Und selbst in der tiefsten Krise seit der Kirchpleite werden für Supertalent Haaland astronomische Summen aufgerufen, die einem Wechselverbot gleichkommen. Die legendäre Tulpenspekulation scheint wie ein Fliegenschiss dagegen. Das, was man derzeit aus dem Fußballgeschäft hört, ist vergleichbar mit einem Junkie, der nach mehr Stoff schreit, als ob das die Lösung seiner Probleme wäre.
Bobic forderte unlängst, die Beschränkung auf 25.000 Zuschauer aufzuheben. Dabei ist die Realität, dass für das Spiel am Wochenende gegen Wolfsburg nicht einmal die zugelassenen 25.000 Tickets an den Mann oder die Frau oder sich als sonstwas identifizierende Geschöpf zu bringen sind. Selbst gestandendste Herthaner, die zum Teil seit Jahrzehnten eine Dauerkarte haben, verweigern den Gang ins Stadion und es ist fraglich, ob das nur an den Coronaregeln allein liegt. Zu vielen dürfte mittlerweile die Bequemlichkeit des doch meist zweifelhaften Genusses von Herthaspielen vom heimischen Wohnzimmer oder in der Stammkneipe aufgefallen sein, wo man es angenehm temperiert hat, das Bier schmeckt, in einem richtigen Glas serviert wird. Mit einem Lächeln der Bedienung.
Dass man sich dabei dann auch immer entwürdigender werdende Einlassprozederes spart, wo man neben seiner Eintrittskarte auch noch seine Identität preisgeben und demnächst durch im Vorfeld der EM zu installierende mannshohe an Nacktscanner erinnernde Schleusen gläsern gemacht werden soll, ist ein weiterer Aspekt. Aber vielleicht hat der Fußball auch einfach tatsächlich die Bodenhaftung verloren beim Versuch, die Gehälter von Spielern und Funktionären immer weiter nach oben zu schrauben, was sich selten in besserem Fußball niederschlägt, dafür aber in jeder Menge Werbeblöcke im Pay TV, welches mal für werbefreie Übertragungen geworben hat.
Denn für den gemeinen Fußballfan dürfte weniger das Tickitacka von Superstars zählen als das ewige Wiederkunft bringende Gemeinschaftserlebnis, “sein Team” anzufeuern, mit ihm mitzufiebern, mit ihm zu leiden, es zu verfluchen und doch wieder lieb zu gewinnen. Es ist wie in einer guten Ehe und es ist wie in einer großartigen Oper, was sich nicht nur auf die Leibesfülle der mitsingenden Damen bezieht (uh, der Satz könnte Ärger geben 😉 ), deren Lieder Nietzsche als “Leier-Lied” titulierte.
Und Opernsänger hatten während der Pandemie wirklich zu kämpfen, wie ich unlängst bei einem Besuch in Dresden feststellen musste, wo sich Sänger der Semperoper neuerdings als Straßenmusikanten verdingen und sich über Almosen freuen, für die der Durchschnittskicker in der Bundesliga nicht einmal eine Augenbraue heben dürfte.
Die Welt ist aus den Fugen, der Fußball maßlos und dennoch muss man kein Prophet sein, dass der Ball sich weiterdrehen wird, denn zu beliebt ist diese alles andere erdrückende Sportart und zu verrückt all diejenigen, mich eingeschlossen, die den Wahnsinn zu finanzieren bereit sind. Die Probleme des Fußballs sind nicht neu, die von Hertha allemal nicht, es ist letztlich die Wiederkunft des Gleichen. Wir werden es überleben. Wir sind Menschen. Wir sind widersprüchlich. Schönhamwas.
HaHoHe, Euer Opa