(opa) Einen Tag vor dem letzten Ligaspiel kreisen unsere Gedanken unwillkürlich um den unvermeidlichen Rückblick auf die Saison. Gestern auf der Rückfahrt aus dem Bergischen Land hatte ich beim Draufrumdenken um den vorletzten Opener der Saison das berühmte Bild Da Vincis aus der Kirche Santa Maria delle Grazie in Mailand vor Augen.
Doch im Gegensatz zum Gemälde, welches in vielerlei Hinsicht als beinahe vollkommen gelten darf, war unsere Saison alles andere als das. Eher schon drängt sich – passend zum letzten Abendmahl – Mt 26,21 auf “Einer von euch wird mich verraten”, denn auch die neue Saison begann mit einem Akt, den nicht wenige als Verrat bewerten und dieses Thema begleitete uns über weite Teile der Spielzeit.
Es begann also mit dem “Verrat”, den sportlich erfolgreichsten Trainer der letzten zehn Jahre zu entlassen, der sich abgenutzt zu haben schien und dessen Art und Weise, Fußball spielen zu lassen, zum Schluss leidlich uninspiriert wirkte. Man ließ von “großen Lösungen” kolportieren, um dann aber doch statt des Tigers einen eher süßen Bettvorleger in Form des U23 Coachs zu präsentieren, den man dann – Achtung Verrat – auch dann noch unwürdig weiterwerkeln ließ, als längst klar war, dass es nicht mehr geht.
Mit “Peng, Bumm und Knall” (bildhafte Sprache ist derzeit auch unter Bundesministern gerade beliebt) präsentierte man uns dann heilandsgleich den Erlöser in Form des ehemaligen Bundestrainers, der dafür Verrat an seinem Vorhaben beging, nicht mehr als Trainer tätig zu sein. Wäre er mal standhaft geblieben. Nach einem durchaus unterhaltsamen und hoffnungweckenden, aber nur wenige Wochen andauernden Intermezzo dann – ebenfalls mit “Peng, Bumm, Knall” – der Verrat mit “HaHoHe, Euer Jürgen”. So schnell konnte man gar nicht gucken, wie es Bumms statt Wumms machte.
Im Anschluss durfte dann die Mannschaft Verrat am beinahe bemitleidenswerten Interimscoach begehen, der “beinahe egal, was passiert” bis zum Saisonende trainieren sollte und der schon in der Halbzeit eines Spiels mit seinem Trainer-Latein am Ende war, wo die Mannschaft sich selbst coachte und die Taktik festlegte. Als wäre das alles noch nicht genug gewesen, kam dann der Lockdown und für Herthaner ein Moment des Durchatmens und der inneren Einkehr. Apropos Einkehr: Zuprosten war in dieser Saison durchaus ein Mittel, selbige besser zu ertragen.
Und dann kam Bruno. Und wie. Bescheiden wie fachkundig im Auftreten und gleichzeitig mit “heavy impact” (um mal den strapazierten Wumms zu vermeiden) im sportlichen Bereich. Optimal gestartet, zwischendurch mit Hänger, am Ende mit Überraschung? So ganz kennen wir das Ende noch nicht, aber es war seit langem eine der erfolgreichsten Rückrunden, obwohl wir die ja gar nicht können sollen. Droht hier der nächste Verrat?
Silberlinge als Judaslohn hatten sicher alle genug, auch wenn der eine oder andere Spieler sich “verarscht” fühlte und das – versehentlich oder nicht – der Öffentlichkeit “verraten” wurde. “Lösch das bitte, Sala!” war auch Teil der bisweilen intriganten Passionsfestspiele, denen wir beiwohnen durften.
Und auch wir als Community fühlten uns zwischenzeitlich verraten, als man uns ohne lange Vorwarnung nicht nur aus dem Nest schubste, sondern auch noch die Erinnerung löschte, die wir aber Gott (oder besser ImmerHerthaArchiv) sei Dank konservieren konnten. Und so treiben wir in unserem Rettungsboot und sind uns darüber gewiss, dass wir vor Gericht und auf hoher See alle in Gottes Hand sind. Obwohl, so ganz richtig ist das nicht.
Während sich der Kapitän auf der Brücke wie Pontius Pilatus die Hände in Unschuld wäscht, vor allem, wenn der Maschinenraum aus Furcht vor Leckagen mal wieder an der Lenzpumpe fummelt und Rettungsübungen provoziert, schippert unser Boot in eine ungewisse Zukunft. Paradies oder Jüngstes Gericht? Das haben wir – Gott und den Göttern sei Dank – selbst in der Hand.
So freuen wir uns kurz vor unserem halbjährigen Geburtstag auf eine spannende Zeit nach Saisonende mit allem, was dazugehört wie Transfergerüchten, “echten” Rückblicken, Ausblicken, Hamsterrädern und Sommerlöchern. Verzweifelt also nicht beim Krähen des Hahns, wenn ihr oder andere Hertha mal wieder dreimal verraten habt. Selbst Petrus war diesbezüglich schwach und war dann doch Gründungsvater eines nicht ganz erfolglosen “Fanclubs”.
HaHoHe, Euer Opa
P.S.: Morgen gibt’s den Spieltagsopener von Sunny und nach der Saisonabschlusssiegfeier ordnen wir uns nochmal ganz weltlich neu.