Veröffentlicht am Kategorien 2. Bundesliga, 2024, Allgemein, Spieltagsnachlese

Des Wahnsinns fette Beute?

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(opa) Selten dürfte nach einem Sieg die Stimmung so gespannt gewesen sein wir nach dem Spiel gegen erschreckend harmlose Braunschweiger Löwen. Hertha dominierte den Gegner über weite Teile des Spiels, entwickelte aber Null Torgefahr, während die Braunschweiger die Defensivschwäche eiskalt nutzten und das einzige Tor aus dem Spiel heraus erzielten. Dass das Ergebnis am Ende glücklich ausfiel, freut sicher alle Blauweißen, aber dennoch besteht Gesprächsbedarf, denn ohne die beiden Elfmeter hätte Hertha auch mit Verlängerung kein Tor erzielt. Und alle wissen, was passiert, wenn man weder Offensiv noch Defensiv stark ist.

Tabellenplatz 7 und vier Punkte Rückstand auf einen Relegationsplatz nach 9 Tagen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es so nicht weitergehen kann. Der Trainer beklagt einerseits, dass die Mannschaft nicht das umsetzt, was man besprochen hat, andererseits schickte er das ersatzgeschwächte Team erneut in bunt durcheinandergewürfelter Formation aufs Feld. Mag ja sein, dass er in Scherhant jemanden sieht, der besser nach hinten mitarbeitet und dieser deshalb den Vorzug vor den nominellen Mittelstürmern Niederlechner und Prevljak hat, aber ein Mittelstürmer mit Torinstinkt wird aus Scherhant nicht mehr, zumal der auch mangels Zuspielen derzeit nur selten die Gelegenheit hat, sich auf seiner Wunschposition auszuzeichnen.

Somit wird das Team gleich doppelt geschwächt. Zum einen fehlt Scherhants Tempo und seine Flanken auf der linken Seite, zum anderen fehlt es an einem “Killer” im Sturmzentrum, der effizient statt effektiv ist. Aus Scherhants Sicht mag es folgerichtig sein, sich seine Position im Team zu erkämpfen, wenn Reese wieder zurück ist, aber es geht im Teamsport nicht um Einzelspieler, sondern um das ganze Team. Und gegen die “Brecher” im Braunschweiger Defensivverbund wäre es vielleicht auch hilfreicher gewesen, jemanden mit etwas mehr Körperlichkeit aufzustellen. Das wurde später korrigiert und eben durch die Elfmeter auch belohnt, es stellt sich aber erneut die Frage: Wozu?

Ähnlich verhält es sich mit dem Rückkehrer Karbownik als alleinigen 6er, wodurch sowohl offensiv als auch defensiv Löcher entstehen, die kaum zuzuschütten sind. Zwar sorgt diese Aufstellung für viel Ballbesitz, es ist aber bestimmt durch häufiges Quergeschiebe mit entsprechender Gefahr von Ballverlusten. Zwar war die Kombination mit Sessa und Cuisance auffallend, man stand sich mit Maza dann aber nicht selten im Weg herum und so kompakt, dass außer “Geknödel” nichts Gescheites bei herauskam und Angriff um Angriff ergebnis- und torlos blieb.

Geblieben ist auch die Defensivschwäche. Was Dardai offensiv nicht konnte (und sogar meinte, dass man das nicht trainieren kann), scheint Fiel defensiv nicht zu können. Klar, die Mannschaft ist geschwächt, aber gerade weil das so ist, wäre es wichtig, auf die richtige Balance zu achten und ggf. mit einem kompakteren defensiven Mittelfeld zu operieren, um die Verteidigung zu entlasten. Der Konter, der zum Gegentor führte, hat das Loch im Mittelfeld offensichtlicher gemacht als die Schwäche der Dreierkette, auf die Trainer Fiel umgestellt hatte, was paradoxerweise eher zu einer Schwächung der Außenbahnen führte, weil Kenny und Thorsteinsson sich seltener ins Offensivspiel einschalteten.

Man kann das auf Uneingespieltheit schieben, aber es ist schon auffällig, dass der Trainer sich einerseits öffentlich darüber beklagt, dass die Spieler nicht das umsetzen, was man abgesprochen hat, andererseits zu beobachten ist, dass der Mannschaft der in den ersten Spielen erkennbare Wille fehlt, den Gegner brutal anzulaufen. Das scheint nicht nur ein Konditionsthema zu sein, da scheint auch etwas im Kopf passiert zu sein und das sportliche Management täte gut daran, dies entsprechend zu beobachten und zu moderieren, zumal wohl niemand ein Interesse daran hat, eine Trainerdiskussion zu führen. Dennoch scheint die Gesamtsituation brenzliger als es der isolierte Blick auf die Tabelle ahnen lässt.

Brenzlig war am gestrigen Sonntag dann noch ein langes Statement von Hertha, welches mich im ersten Moment ratlos zurückließ. Hertha hat die Parole “fette Beute” auf den eigenen Sprachindex gesetzt und dies mit einer angeblichen NS Vorbelastung begründet. Nun dürfte unstrittig sein, dass die Verhinderung der Verbreitung von NS Parolen als sinnvoll betrachtet wird. Allerdings dürfte Hertha hier historisch falsch (oder zumindest nicht ganz richtig) liegen. Der Ausspruch ist nicht nur älter als die NS Zeit, sondern wurde auch nicht selten als nicht bestrafbare “Verhohnepiepelung” der vorangehenden Sieg Heil Parole betrachtet, wie es der 2017 verstorbene und ehemalige KZ Insasse Dr. Cüppers als Zeitzeuge hier angemerkt hat:

Auch die Nazis wurden verarscht. Das war nicht ungefährlich, weil die Burschen ganz besonders wenig Humor hatten. Aber es kam trotzdem vor. Der Spruch scheint mir in eine Kategorie gemeinsam mit Gröfaz zu gehören. … Vorstufe: Zum frühen Nationalsozialismus gehört “Sieg Heil”. Damit war der erhoffte innenpolitische Sieg der Partei gemeint, der bekanntlich am 30. Januar 1933 eintrat. Ein dreifaches “Sieg Heil” blieb aber auch nach 1933 von der Partei in Gebrauch; damit endeten Parteiveranstaltungen aller Art.

Die Verballhornung zu “Sieg und Heil und fette Beute” ist aber auf gar keinen Fall eine Erfindung der Nationalsozialisten: Der Spruch hätte vor 1945 bei der damaligen Obrigkeit eher Missfallen ausgelöst, weil damit die Parole “Sieg Heil” verunglimpft worden wäre.

Dr. Peter Cüppers, 2011, Link s.o.

Fette Beute dürfte damit eher in die Kategorie der von den Nazis missbrauchten Parolen wie auch das lateinische suum cuique denn auf den Index gehören. Den früher (und leider immer noch viel zu oft) zur Schmähung gerufenen Begriff “Jude” sollte man ja auch nicht verbieten, denn wie sonst sollte man einen Juden benennen wenn nicht so? Es kommt eben immer auf den Kontext und nie auf den Begriff als solchen an und so sollte es auch bei “Fette Beute” sein.

Zudem dürfte zumindest bei einem Teil der eigenen Anhänger genau das Gegenteil bewirken. Trotz ist eine der häufigsten Reaktionen der Fans auf Verbote. Die älteren erinnern sich: Hertha hatte in den 80er Jahren den Vertrauensausweis eingeführt. Wer in blauweiß ins Stadion wollte, musste seine Zuverlässigkeit nachweisen, sich registrieren und wer das nicht wollte, dem wurde in blauweiß der Eintritt verweigert. Die Folge war, dass stadionweit grüne Bomberjacken (und nicht selten die entsprechende Gesinnung) die Fankurve dominierten. Und als das Hüpfen auf den maroden Rängen des Olympiastadions verboten wurde, wurde so euphorisch wie selten zuvor gehüpft und das “Einhaken” hat sich bis heute gehalten. Man kann aus der Geschichte lernen oder es so tun wie es Hertha macht.

HaHoHe, Euer Opa

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