Veröffentlicht am Kategorien 2. Bundesliga, 2024, Allgemein, Spieltagsnachlese

Nach oder- Spätlese?

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(opa) Was für ein grandioser Sieg über die im eigenen Rauch versinkende Kogge und über die mit Abstand asozialsten Fans unseres Landes! Von der Minute an, wo man etwas sehen konnte, spielte Hertha wirklich sehenswerten und guten Fußball. Man könnte sicher anmerken, dass die Spieler aus der Hansestadt sich auch nicht recht wehrten, aber das wäre wirklich die Suche nach dem Haar in der Suppe, die diesmal fußballerisch nicht nur Wassersuppe war, sondern annähernd mit dem Gehalt, der den Ausgaben für die Zutaten entsprach. Spät in der Saison scheint Hertha aufzublühen, auch wenn es nach realistischen Maßstäben zu spät sein dürfte, um am Nichtaufstieg noch etwas zu ändern. Hätte Hertha die ganze Saison so gespielt wie in den letzten beiden Partien, würden wir sicher ganz oben bei der Musik dabei sein.

Und sowohl des lieben Friedens Willen als auch aufgrund der Tatsache, dass ich nach diesem Wochenende viel zu gute Laune habe, verzichte ich auch auf den Hinweis, dass eine solche Leistung mit diesem angeblich nicht ligatauglichen Mittelfeld ja gar nicht möglich gewesen sein soll. Nein, die Sonne über meinen Ausflugszielen, am Samstag nach Köpenick an die Müggelspree und am Sonntag ins Havelland, wo ich auf der Insel Werder ein Fischbrötchen verspeiste war genauso die passende Fortsetzung meiner guten Laune wie die launige Vorstellung am Samstagnachmittag, wo ich in den Wühlmäusen einer Lesung des wunderbaren Harald Martensteins beiwohnte und mich an einigen Stellen scheckig lachte.

So viele auffallend gut gelaunte Herthaner wie am Freitagabend nach dem Spiel habe ich in Liga eins lange nicht gesehen, daher ist es für die Fanseele schon ganz hilfreich, mal eine Ehrenrunde in Liga zwei zu drehen. Und auch erkennbar mehr Fannachwuchs ist zu beobachten, quer durch alle Altersschichten scheint Hertha wieder zu ziehen. Pal hin, Finanzprobleme her, wenn man mit seinen Leuten am und im Stadion beisammen ist, ist ein Sieg wie der am Freitagabend der Kitt, der nicht selten für Jahrzehnte zusammenschweißt und ein Gefühl erzeugt, welches dann auch über schlechte Zeiten hinwegträgt.

Und vielleicht ist die Saison ein wenig wie bei der Weinlese zu betrachten. Je länger die Trauben am Stock hängen, können sie nicht nur umso höheres Mostgewicht erreichen (also grob mehr Zucker bilden, der dann in Alkohol vergoren werden kann), sondern umso größer ist auch die Chance, dass sich in dieser Zeit eine gewollte Edelfäule an den Trauben ansiedelt, die den späten Weinen ihre unverkennbare Qualitätsnote mitgeben. Und das alles basierte ebenso wie bei Hertha nicht unbedingt einem Konzept, sondern ist dem Zufall und einer Verspätung zu verdanken. Während im Rheingau alle Winzer festgeschriebene Lesezeiten zu beachten hatten, war das Schlossgut Johannisberg der Leseerlaubnis des Fuldaer Fürstbischofs unterworfen, der Bote, den man 1775 losschickte, kam aber erst mit erheblicher Verspätung zurück. Währenddessen hatte sich die Grauschimmelfäule (Botrytis cinerea) über die Trauben hergemacht, die Stöcke wurden dennoch geerntet und man war im Folgejahr überrascht, wie gut der Wein schmeckte.

Vielleicht ist unser Pal wie der damalige Heinrich von Bibra verantwortlich für den Grundstein eines Supererfolgs, auch wenn es am Ende vielleicht ein Zufall oder eine Verspätung war, wenn Hertha es schafft, weiterhin so Fußball zu spielen und diese Ergebnisse einzufahren, soll es wohl allen recht sein und nicht wenige würden darauf auch mit einem guten Stadionwein anstoßen. Vielleicht kann Pal als Winzer ja hier noch seine Beziehung zur Hertha ausbauen, auf dem Etikett sein Gesicht mit der legendären Zigarre. Als Beschreibung dieses Weins könnte vielleicht die folgende passen: “Temperamentvoller, von der Sonne Ungarns gereifter Rotwein aus zweiter Winzergeneration, der den Liebhaber herzlich umschmeichelt, während er vorm Kritiker die Flucht ergreift und seine Zuneigung so nur dem entgegenbringt, der ihn zu würdigen weiß. Noten von Sandelholz, Zigarre und Gulasch machen es schwer, ihn verbal zu verstehen. Wer sich auf das Experiment einlässt, ihn stattdessen mit anderen Sinnen zu fühlen, wird mit beinahe familiärer Herzlichkeit umschmeichelt, dass selbst die Winzersgattin weint, wenn man den Tisch verlässt.”

Dass der Wein im direkten Vergleich bisweilen etwas überteuert wirkt, sieht man dem Winzer nach. Wer will schon Kieler Sprotten oder Heilbutt von der Reeperbahn, wenn er stattdessen einen feurigen Roten haben kann? Und wer will schon so kleinlich und deutsch korrekt sein und mit dem von einem Pforzheimer Feinmechaniker namens Oechsle erfundenen Refraktometer trocken über die Gradskala philosophieren, wenn man stattdessen schon lecker nachschenken kann? Sonne kann man halt nicht trainieren. Und nach diesem verbalen Höhepunkt setze ich den Schlusspunkt.

Habe die Ehre, Egészségedre (ungarisch für Prost) und HaHoHe, Euer Opa

P.S.: Falls Eure Laune noch nicht gut genug ist: Fragt doch mal die Anhänger der Köpenicker in Eurem Freundeskreis, wie ihr Spieltag gelaufen ist. Und wie sehr sie sich auf den nächsten Spieltag freuen.

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