(opa) Es hätte die Woche der Wiederauferstehung werden können. Das Halbfinale war in greifbarer Nähe, mit Lautern kam ein schlagbarer Gegner. Und mit dem Top-Spiel am Samstagabend wäre Tabellenplatz 6 drin gewesen und hätte den Traum vom sofortigen Wiederaufstieg aufrecht erhalten. Beides platzte in einer Woche wie eine Seifenblase. Die Stimmung bei den Fans war schon vor Spielbeginn übersichtlich, zu tief saß der Frust über das Pokalaus. Und obendrein dürfte gestern Abend mehr als ein Drittel der Fans im Stadion Sympathien für den Club von der Elbe gehabt haben. Mit 20.000 Fans auswärts geht fast nirgends, aber eigentlich immer bei Hertha.
Ohne Reese in der Startelf, dafür wieder mit dem (notwendigen?) Ernst im Tor ging es in ein entscheidendes Spiel. Weil die 2. Liga so knapp ist, können zwei Spieltage reichen, um vom Aufstiegsaspiranten zum Abstiegskandidaten zu werden. Und wenn man dachte, die Mannschaft habe am Mittwoch “Knödel in der Buxe” gehabt, wurde das Niveau in Halbzeit 1 noch schlechter. Fehlpass an Fehlpass reihte sich, dass man sich fragte, ob die Spieler wissen, welche Sportart sie ausüben. Gegen erwartbar extrem hoch und aggressiv pressende Hamburger fand die Mannschaft kaum eine Lösung aus der eigenen Hälfte heraus. Was auch immer die Spielidee war, sie taugte nichts. Oder es gab keine.
Und zur Halbzeit fragte man sich, ob das nun die gute oder die schlechte Halbzeit war, so wankelmütig wie in dieser Saison war Hertha selten. In Hälfte zwei wurde es zwar ein wenig besser, allerdings war das Ergebnis leider noch schlechter, denn Hertha kam zwar nach der Einwechslung von Reese zu Chancen und er bereitete das Tor vor, welches “Fluppe” sauber abstaubte, allerdings fing man sich auch zwei Tore vom an sich recht harmlos auftretenden Hamburger Sportverein. Wie gewonnen, so zerronnen. Und abermals zeigte es sich, wie abhängig man im Offensivspiel von Reese ist, der angesichts der Gesamtsituation zum Saisonende mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weg sein wird.
Hertha wird nicht nur finanziell, sondern auch sportlich in ein tiefes Loch fallen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass man einen solchen Unterschiedsspieler findet und verpflichten kann, dürfte etwa so groß sein wie der Wirkstoffinhalt bei Globuli. Und so trotten wir statt mit der stolzgeschwellten Brust eines Pokalviertelfinalisten mit hängenden Köpfen und Schultern durch die Tristesse des Fanlebens und leiden daran, dass man bei uns nicht mehr auf die Kette bekommt. Und selbst die, die sagten, es sei in der zweiten Liga so schön, weil man öfter gewönne, sind erstaunlich still.
Bei der Suche nach Verantwortlichen dreht sich der Blick natürlich auf diejenigen, die derzeit die sportliche Verantwortung haben, das sind in erster Linie Trainer und Sportdirektor. Doch es wäre zu kurz gedacht, einfach nur Personen auszutauschen, denn die Probleme von Hertha sitzen tiefer. Magath hat es nur kryptisch angedeutet, Klinsmann etwas deutlicher niedergeschrieben: In diesem Verein steckt ein Wurm, der gremienübergreifend Erfolg nicht unbedingt begünstigt. Doch ein Umbau bedarf nicht nur Zeit, die wir nicht haben, sondern auch einen Mindshift, den der verstorbene Präsident zumindest mal anstoßen wollte.
Mit jedem Tag, der vergeht, verfliegen die Hoffnungen, dass sich eine Persönlichkeit findet, die in der Lage wäre, mutig voranschreitend den Verein in die richtige Richtung zu führen. Das Spannungsfeld der Talente, die jemand mitbringen müsste, um der optimale Präsident zu sein, gleicht der Quadratur des Kreises. Ein Menschenfänger muss er sein, konsensual gegenüber den vielen Partikularinteressen, vernetzt in der Sportwelt und vernetzt in der Wirtschaft. Wer diese Eigenschaften in sich vereint, nimmt allerdings vermutlich kein Vollzeit-Ehrenamt an, doch bis sich Hertha da in Satzung und Struktur geändert hat, könnte es sein, dass man das als Dritt- oder Regionalligist beschließt und selbst noch weniger attraktiv ist.
Apropos Partikularinteressen: Ich habe mit Erstaunen die Diskussion verfolgt, die ihr während und nach dem Spiel über die Tennisballaktion geführt habt. Erstaunen deshalb, weil einige aufgrund der Protestform, die ganz sicher vor allem in der zeitlichen Intensität drüber war, die Ziele in Frage gestellt haben. Ja, so wie in der ersten Halbzeit ein paar wenige Minuten das Spiel zu unterbrechen wäre nicht unangemessen gewesen, die halbe Stunde, die die Ostkurve daraus gemacht hat, hat der Sache aber Sympathien gekostet. Dennoch ist es m.E. wichtig, die Hintergründe des Protests nicht aus den Augen zu verlieren.
Die DFL bereitet den Einstieg eines Investors vor, dessen Einlage des ohnehin hochprofitablen Ligaverbands dafür genutzt werden soll, um sich noch professioneller, vor allem international zu vermarkten. Dafür wird man einen Teil der TV Einnahmen an den Investor abtreten, was die Einnahmebasis vor allem der kleinen Vereine deutlich und spürbar schmälern wird, denen es an Zusatzeinnahmen aus internationalen Wettbewerben mangelt. Gleichzeitig bedeutet die gewünschte Internationalisierung, dass sich der Sport an Orten der Welt anbiedern wird, die der Fan, der den Deutschen Fußball zu dem gemacht hat, was er heute ist, wohl nur selten zu Gesicht bekommen wird.
Die konkrete Auswirkung? Es beginnt dann mit Albernheiten wie ein Supercupspiel in Arabien, bis man dann entscheidendere Formate ins Ausland verlegt. Das Topspiel dann in Doha oder Riad? Anstoßzeiten hierzulande frühmorgens, um auch chinesischen Zuschauern ein Prime-Time-TV-Erlebnis zu bieten? Oder Abendspiele um 22 Uhr, damit der US Markt beglückt wird? Welcher Nutzen soll sich daraus ergeben, außer ein geldgieriges System, was am vielen Geld eher zugrunde geht, mit noch mehr Geld zu versorgen, welches dann durch gierige Berater zu Spielergehältern führt, die kaum noch ein Verein refinanziert bekommt, sofern nicht immer irgendwo frischer Stoff herkommt. Das ist Denken eines Junkies, der vom nächsten Schuss träumt und der aufgrund seiner Sucht nicht in der Lage ist, über diesen Zeitraum hinaus Konsequenzen zu durchdenken.
Mag sein, dass man damit ein exclusiveres Publikum anspricht, welches vielleicht beim Tennis besser aufgehoben wäre. Die brutale Wahrheit ist aber, dass man mit der Grütze, die man in der zweiten Liga als sog. “Fußball” serviert bekommt, außer denen, die sich das heute schon antun, niemanden dieser Zielgruppe hinterm Ofen hervorlocken wird. Die sollen mal schön beim Tennis bleiben, eine Sportart, wo man übrigens häufiger mal Spiele auch länger unterbricht als gestern, ohne, dass sich jemand aufregt und nur, weil es ein paar Tropfen regnet. Mit Tennispublikum wäre Hertha, wäre der Deutsche Fußball schon längst in den Niederungen der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Und es wäre gestern Dauerpfeifkonzert gewesen, allein die Zahl der Fehlpässe hätte dafür gesorgt.
Und da “Dialog” mit den Verbänden DFL und DFB und vielen Vereinen meist so aussieht, dass man Fanvertretern lediglich erklärt, wie der Hase zu laufen hat, aber niemals ernsthaft zuhört, bin ich durchaus gern bereit, auch mal eine halbe Stunde auf den Wiederanpfiff zu warten, damit “denen da oben” im Elfenbeinturm klar wird, dass sie gerade dabei sind, die Schraube zu überdrehen und den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen.
HaHoHe, Euer Opa