(opa) Schwere Kost gestern im Olympiastadion zu Berlin. Als der Tabellenletzte zum Gastspiel hier antrat, waren nicht wenige vorher überzeugt, dass das eine leichte Aufgabe würde und eher über die Höhe des Sieges spekuliert wurde. Es war alles bereitet für das letzte Pflichtspiel des Jahres, man ist in einem Aufwärtsmove, beflügelt von diversen Erfolgen der letzten Wochen könnte man sich nach einem katastrophalen Sasisonstart mit dem leidgeplagten Heimpublikum zum Weihnachtsfest versöhnen. Es sollte anders kommen. Statt einer reich gedeckten Weihnachtstafel mit allerlei Leckerbissen kamen sich nicht wenige eher vor wie in der tiefsten Fastenzeit.
Statt Spekulatius, Baumkuchen, Dominosteinen, Lebkuchen und Marzipanbrot nur Wasser mit Wassersuppe, alles eiskalt serviert aus dem Zinkeimer, als müsse man einen Betrunkenen in der Ausnüchterungszelle wecken. Das zarte Pflänzlein der Euphorie der letzten Wochen wurde mit dem Stiefelabsatz zertreten. Mit Bekanntgabe der Aufstellung, in der endgültig klar war, dass statt Plan A (wir spielen mit Reese) und Plan B (Reese wird eingewechselt und dreht das Spiel) mit großer Wahrscheinlichkeit Palsche Planlosigkeit serviert wird, schwand die Hoffnung und mit Anpfiff begann die Marter und Pein.
Es folgten 90 Minuten weitgehend planloses Hin- und Hergeschiebe, Rumpelfußball á la Kreisklasse, Bogenlampen als Zuspiel, rustikales Getrete und ein wie ein Rohrspatz schimpfender Trainer, dessen Ein- und Auswechslungen auch kaum planvoller schienen als die eines Amateurtrainers, der Taktik in der Kabine anhand von Bierflaschen erklärt. Vom Millionenbusiness Profifußball war das gestrige Spiel weit entfernt und es fragt sich, wie die DFL angesichts solcher Spiele gegen den Willen der Fans und mit einer gegen die eigene Satzung verstoßenen Abstimmung milliardenschwere Investoren an Land ziehen will. Spätestens, wenn man die gestrige Partie im Rahmen einer Due Dilligence Prüfung zeigt, dürfte ohnehin jeder Deal platzen.
Ohnehin ist viel zu viel Geld im System, auch in Liga zwei verdienen die Profis schwindelerregend viel Geld. Geld, welches Fans wie wir in dieses System hineinpumpen, denn für den Gruselfußball gestern zahlen wir im Grunde genommen genauso viel wie Anhänger von Teams, die gepflegten und erfolgreichen Fußball spielen. Auch wenn man an dieser Stelle keine Gerechtigkeitsdiskussion aufmachen möchte, sollte man nicht vergessen, dass man für das gestrige Elend genauso viel bei sky & Co. bezahlt wie der Anhänger des BVB oder von Leverkusen, der Gegenwert aber kaum erkennbar ist.
Und es dürfte noch schlimmer kommen. Nicht nur, dass die Saudis mit Milliarden sich eine Operettenliga zusammenkaufen, am Donnerstag entscheidet der EuGH, ob die UEFA ihr Monopol über den europäischen Fußball behalten kann. Wenn nicht, dann steht einer rein kommerziellen Europaliga nichts mehr im Wege. Und wer glaubt, dass das keinen Impact auf die nationalen Wettbewerbe haben wird, der wird sich verwundert die Äuglein reiben, wenn Teams wie die Bayern auch mit ihrer B-Elf nationale Titel am Fließband einfahren, finanziert von der Kohle der Millionen Zuschauer, die auch für Zweitligakicks wie den gestrigen ihre Abos brav bezahlen.
Über das Spiel selbst sollte man den Mantel des Schweigens hüllen. Die Osnabrücker gaben ihr Bestes, so etwas wie Fußballspiel zu verhindern, stellten nicht ungeschickt Räume zu, hinderten die Herthaner am Eindringen in den Strafraum und folgerichtig gab es auch so gut wie keine nennenswerten Torchancen. Dass Hertha kein Mittel fand, diese Aufgabe zu lösen, mag man auf den dünn besetzten Kader im Mittelfeld schieben, andererseits entschied sich Trainer Dardai dazu, lieber seinen im defensiven Mittelfeld nicht sonderlich starken Sohn aufzustellen und dann noch auf dem Platz zu lassen, auch wenn kein zwingender Sachgrund hierfür feststellbar war.
Ansonsten kam noch übles Getrete dazu, ein Schiedsrichter, der bisweilen merkwürdige Entscheidungen traf. Den zuvor am Sternum mit gestrecktem Bein getroffenen Niederlechner schickte er vom Platz, nachdem der VAR überflüssigerweise eingegriffen hatte. Wer die Szene nur nach der Zeitlupe beurteilt, mag Recht haben, dass das rot war, wer die Szene in Echtgeschwindigkeit sieht, erkennt, dass gelb die einzig angemessene und richtige Entscheidung war. Es änderte aber nichts an der unterirdischen Qualität dieses Spiels und Hertha hätte auch mit einem Mann mehr nicht besser gespielt, es sei denn, dieser hätte auf den Namen Reese gehört.
Und so war das gestrige Spiel aus der Kategorie übles Ballgeschiebe, in der selbst ein Ottl oder Hegeler das Niveau nicht hätten niedriger gestalten können. Wer Bier holen ging, verpasste nicht nur nichts, er machte den Schmerz einfach für sich nur erträglicher. Das Bier kostet im Olympiastadion übrigens genauso viel bzw. sogar mehr als anderswo, wo es richtigen Fußball zu sehen gibt. Der Markt regelt hier nix. Und doch regelt er alles. So lange sich Menschen die schale Plörre im Plastikzahnputzbecher in rauen Mengen einverleiben, so lange es Fans gibt, die die von Hertha für happige 240 € feilgebotene Winterstadionjacke erwerben, so lange wird man “da oben” denken, dass das alles schon richtig sei, was man tut.
Die sportliche Anspruchslosigkeit zieht sich wie ein roter Faden eben auch durch andere Bereiche. Vermutlich ist es aber eher andersherum, dass die Anspruchslosigkeit in anderen Bereichen in die sportliche Ambitionslosigkeit mündet. Und so leistet sich Hertha mit dem höchsten Etat aller Zweitligisten ein Team individueller Qualität, die, wenn diese nicht verfügbar ist, zu nichts vernünftigem führt. Dennoch scheinen alle irgendwie zufrieden. Pal muss sein geliebtes Berlin nicht verlassen, die Familie ist versorgt, die Fans applaudieren mehrheitlich, wozu sich also anstrengen oder Messlatten legen, die allzu leicht zu reißen sind?
Gibt es Anlass zum Optimismus? Aber ja, dafür sollte immer Platz sein. Vielleicht passen sich die Preise ja irgendwann dem Dargebotenen an und man erhält das normale Eintrittsticket für ‘nen Fünfer oder Zehner wie auf Kreisligaplätzen üblich, damit das Antrittsgeld des Schiedsrichters gedeckt ist. Den einen Linienrichter macht der Platzwart, der andere wird aus dem Publikum gewählt, der am wenigsten betrunken ist, wird es. Gelaufen wird nicht, Abseits erkennt man auch vom Mittelkreis, da ist man dann auch meist auf Augenhöhe mit dem Unparteiischen. Das Bier schmeckt besser, wenn man mag, sogar aus einem richtigen Glas, die Wurst kommt vom richtigen Grill und die Toiletten öffentlicher Sportanlagen sind auch kaum schlechter als die im Oly.
Doch im Ernst, bis dahin ist ja noch eine Rückrunde und was sollte einem mehr Optimismus einimpfen als die Tatsache, dass unser Trainer Rückrunde, äh, Moment, nein, das wird man wohl anders formulieren müssen. Aber wie? Na klar, Reese wird wieder gesund und wird uns in der Rückrunde Sieg um Sieg schenken. Es reicht knapp für das Erreichen der Relegation und dort schlägt man dann im finalen Stadtderby die Rostigen aus dem Wald. Das Oly wird danach wie das Colloseum aussehen, ein Neuaufbau lohnt nicht, Hertha kommt so als frischgebackener Erstligist doch noch zu einem neuen Stadion, in dem es nicht nur wärmer ist als sonstwo, es gibt auch Freibier, welches von Cheerleadern am Platz serviert wird. Vielleicht ist es doch der Restalkohol, der da aus mir spricht?
Na gut, ein Versuch habe ich noch, was Anlass zum Optimismus gibt? Man mag die Hoffnung nicht aufgeben, dass das gestrige Spiel den Verantwortlichen aufgezeigt hat, dass es mehr bedarf, als diesem Trainer noch einen weiteren individuell starken Spieler an die Hand zu geben. Zwar wäre ein weiterer Mittelfeldspieler mit Qualität super, aber der nutzt ja nichts, wenn er nicht richtig orchestriert und eingesetzt wird. Die Grenze zwischen sportlichem Niemandsland und Aufstiegsaspirant ist dünn, Hertha hat ohne Frage das Potential, sich bei letzteren zu bewegen, wenn man in jedem Spiel ohne Ansehen von Personen und Namen (und Verwandtschaftsgraden) das beste Team auf den Platz bringt und dieses Team weiß, was zu tun ist bzw. falls das mal nicht aufgeht, ein Plan B da ist. Hertha hat das schon ein paar mal gezeigt, jetzt geht es darum, das kontinuierlich abrufbar zu gestalten.
Und so schmeiße ich Euch am Ende mit etwas Optimismus in die Spätadventszeit, die heute für viele, die sich ins Einkaufsgetümmel des verkaufsoffenen Sonntags stürzen, wohl hektischer ausfallen dürfte als das mal gedacht war. Und Sumsi mit Po? Das ist Optimismus, wenn man das Wort von hinten liest.
HaHoHe, Euer Opa