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Der Balanceakt zwischen Hui und Pfui

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(opa) Verwundert rieben sich wohl viele gestern die Äuglein. Hertha geht früh in Führung, Hertha geht gleich viermal in Führung und verliert dennoch 4:6 in der Ottostadt, wie Magdeburg wegen gleich zweier Ottos genannt wird. Otto der Große regierte von Magdeburg aus das Heilige Römische Reich und der zweite, Otto von Guericke prägte im 17. Jahrhundert von Magdeburg aus, prägte im 17. Jahrhundert die Wissenschaft und insbesondere die Vakuumtechnik. Vakuum ist ein schönes Stichwort, dieses scheint in den Köpfen der für die Defensive zuständigen Mannschaftsteile von Hertha geherrscht zu haben, anders ist die gestrige Leistung kaum zu erklären.

Wobei man es sich zu einfach macht, wenn man da einfach auf der Innen- und Außenverteidigung rumhackt, denn Verteidigung ist bekanntermaßen eine kollektive Aufgabe und die fängt schon bei den Stürmern an, die sofort umschalten müssen, wenn man vorn den Ball verliert. Das ist nicht oder nicht immer ausreichend der Fall gewesen. Weshalb Trainer Dardai trotz der gerade verpflichteten Optionen im Mittelfeld auf weitgehend dieselbe Startelf wie gegen Fürth gesetzt hat, erschließt sich auch auf den zweiten und dritten Blick nicht. Zu offensichtlich das Loch, was dort klafft und zu offensichtlich die Notwendigkeit, hier die richtige Balance zu finden und dies könnte man durchaus als spielentscheidend betrachten, denn viele Treffer der Magdeburger entstanden aus zweiten Bällen, wo das Mittelfeld nicht nachgerückt war. Nur wo nichts ist, kann auch niemand nachrücken.

Positiv hervorheben muss man allerdings, dass die Offensive mittlerweile funktioniert und ihren Teil zum Ergebnis positiv beigetragen hat. 4 Tore und viermal in Führung gehen sollte unter Normalumständen immer reichen, um drei Punkte mitzunehmen. Nicht so gestern. Wobei das Ergebnis nicht so aussagekräftig ist, entscheidend gestern waren

  • zum Teil haarsträubende individuelle Fehler wie der vorm 2:2 von Kempf
  • die Fitness, die zunehmend nachließ, obwohl das Spiel selbst nicht sonderlich kräftezehrend war und am Ende wohl auch
  • dass die Spieler nicht wusste, wie sie in game sich umzustellen haben.

Hinsichtlich der individuellen Fehler sei Kempf zugute gestanden, dass die Wechselgerüchte wohl nicht spurlos an ihm vorübergegangen waren. Nun weiß er wenigstens, warum er zweite Liga spielt und wenn er sich auf diese Aufgabe konzentriert, wird er wohl auch wieder eine bessere Performance hinbekommen. Was die Fitness angeht, gibt es in diesem Bereich eine personelle Konstante. Und da die Einbrüche in der Fitness konstant sind, sollte hier auch einmal Veränderungsbedarf hinterfragt werden, ansonsten wird es sehr, sehr schwer, egal, ob und wenn ja, welches sportliche Ziel man sich ausgibt. Wer unfit in Leistungssport geht, wird scheitern.

Etwas kniffliger bleibt die Feinabstimmung und Orchestrierung. Da muss man dem Trainerteam tatsächlich jetzt etwas Zeit einräumen, nachdem Last Minute noch ein paar Mittelfeldspieler verpflichtet wurden, diese balancefördernd ins Gefüge zu integrieren. Und nach den letzten beiden Spielen ist auch klar, dass die Trainingsinhalte und auch die taktischen Vorgaben sich wohl wieder mehr um die Defensive drehen müssen. Vor allem, wenn man nicht dasselbe Schicksal wie der HSV erleiden will, der trotz Torerfolgen keinen Aufstieg hinbekommt, weil man sich immer wieder zu viele Gegentore fängt. In Hamburg kann einem das ja recht sein, aber Hertha braucht hier verlässlichere Stabilität als derzeit.

So schön es gestern war, viermal jubeln zu können, so ärgerlich war es, sich siebenmal die Haare (sofern vorhanden) raufen zu müssen. Sechsmal bei den Gegentreffern und ein siebtes mal mit Abpfiff. Dieses Spiel hätte eigentlich nicht verloren werden dürfen. Der sensible Herthaner ist bei solchen Aussagen aber empfindsam, denn man hätte auch bei keinem Abstieg absteigen dürfen und diese Abstiege resultierten letztlich genau aus genau solchen Spielen, die man nie hätte verlieren dürfen. Diesen Wirkzusammenhang wird man auch weniger sensiblen Gemütern zumuten dürfen.

Aber noch ist nicht aller Tage Abend, die nächsten nächsten 14 Tage kann das Team gemeinsam mit dem Trainerstab arbeiten. Und mit Braunschweig kommt dann nicht nur ein ebenfalls in der halben Krise steckendes Team, sondern auch ein Verein mit einer historisch beachtlichen Fanbasis, die einige ältere unter uns von guten alten Zeiten schwärmen lassen könnte, auch wenn diese oft gar nicht so gut waren. Da schließt sich dann auch der Kreis, denn um Fußball geht’s beim Fußball oft gar nicht, sondern für viele ist das drumherum viel relevanter. Und das gibt es unabhängig von Liga, Ergebnis und Anstoßzeit.

Ein Sinnbild dafür ist gestern auf den Rängen auch zu sehen gewesen. Die führende Gruppe der aktiven Fanszene feierte ihr 25jähriges Jubiläum und egal, wie man nun zu dieser Gruppe oder zur Ultraszene steht, gehört es sich zu gratulieren. Auch auf den Rängen gilt es genau wie auf dem Rasen, die richtige Balance zu finden und das ist bisweilen mit Schiefständen und Suchprozessen verbunden, wo man den Beteiligten auch Zeit zugestehen sollte.

Jetzt ist aber erstmal Länderspielpause, Deutschland spielt gegen Japan und gegen Frankreich. Uns geht also der Gesprächsstoff nicht aus und wer die gerade erschienene Doku über das Team von Bundestrainer Flick verfolgt hat, wird mitbekommen haben, dass da hinter den Kulissen bisweilen sehr viel deutlicher die Fetzen fliegen als hier bei uns im Blog. Genießen wir also unsere Zuschauerposition und lassen uns unterhalten.

HaHoHe, Euer Opa

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