(opa) Wie versteinert nahmen wohl die meisten gestern den entscheidenden Gegentreffer in der Nachspielzeit zur Kenntnis, der den Abstieg von Hertha BSC aus der 1. Bundesliga besiegelte. Nicht der erste Abstieg und sicher nicht der unverdienteste, aber es ist wie bei jedem Trauerfall schwierig, die passenden Worte dafür zu finden. Dieser Abstieg hat eine Vorgeschichte und es würde der Komplexität der Vorgänge nicht gerecht werden, wenn man ihn ausschließlich denjenigen anlastet, die gestern in den VIP Logen als Funktionäre von Hertha BSC saßen. Aber freisprechen kann man diese auch nicht, genauso wenig die Mitglieder, die sich mehrheitlich von allerlei Hokuspokus blenden ließen, der bereits bei der angeblich alternativlosen Auslagerung der Profiabteilung begann.
Diese wäre nachweislich nicht nötig gewesen, wie andere Beispiele zeigen, die bis heute ihre Profiabteilungen unter dem Dach eines eingetragenen Vereins führen wie in Freiburg oder in Gelsenkirchen. Doch die Hauptstadt war nicht nur mal wieder pleite (wann waren wir das in unserer Vereinsgeschichte eigentlich nicht?), sondern wollte ganz oben mitspielen und dazu sollte Investorengeld angelockt werden. Also gründete man die Profis aus und begab sich über ein Jahrzehnt auf die Suche nach einem “strategischen Investor”, ohne jedoch irgendwann einmal zu definieren, was diesen denn ausmache außer der Tatsache, dass der bereit sein müsste, Unmengen Geld in den Verein zu stecken, ohne etwas zu sagen zu haben.
Und bis heute dürfte unklar sein, ob es jemals bei Hertha so etwas wie einen strategischen Investor gab, denn weder KKR noch Tennor waren solche und bei 777 gibt es zumindest Zweifel, inwiefern sie sich langfristig zu engagieren bereits sind, schließlich gibt es Gerüchte, dass die Fußballsparte nach Saudi Arabien verkauft werden soll. Wird “Inshal-hahohe” als neuer Schlachtruf etabliert, während der Muezzin vom Glockenturm als eine Art neuer Vorsänger die konvertierten Fans herbeiruft? Wer neuer Investor und Miteigentümer wird, hat Hertha faktisch nicht mehr in der Hand und wie sollte es um die Seriosität eines Investors bestellt sein, der in diesen durch und durch maroden Verein auch nur eine müde Mark zu stecken bereit ist?
Also wird Hertha zum Objekt von Spekulanten, Glücksrittern, Bauluden oder eben zum Scheichspielzeug? Auszuschließen ist dieses Szenario nicht, da kann über der Ostkurve noch so sehr gegen jede Form von Investoren protestiert werden. Die Zahnpasta ist aus der Tube und es gibt keinen Weg, die wieder dort hinein zu bekommen (von einer Neugründung einmal abgesehen).
Neben der finanziellen ist die sportliche Perspektive völlig unklar. Zwar kann Hertha seit gestern theoretisch mit der Planung der Zweitligasaison beginnen, doch ob die dafür erforderliche Lizenz erteilt werden wird, wird die DFL erst Ende Juni bekanntgeben und bis dahin muss wohl noch eine Liquiditätslücke von 60 Mio. € zugeschüttet werden. Zur Kalibrierung: Hertha wird lt. Fußball-geld.de Spitzeneinnahmen aus der TV Vermarktung in Höhe von rund 23 Mio. € erzielen und dennoch sind 60 Mio. € offen. Die alte Anleihe hat Hertha trotz Nullzinsphase schon zu 6 % verzinsen müssen, eine Anschlussanleihe wird tendenziell eher mit 10 % verzinst werden müssen und ob sich bei der Gesamtlage überhaupt genügend Investoren finden lassen, 40 Mio. € Volumen zu platzieren, darf als fraglich gelten, zumal dann ja immer noh 20 Mio € Liquiditätsunterdeckung bestehen und man obendrein 4 Mio. € Zinsen und damit rund ein Fünftel der TV Einnahmen berappen muss.
Auch der zweite Versuch, das Thema zum sportlichen zu lenken, hakt gewaltig an den Finanzen, denn welcher Spielerberater wird seinem Schützling, dessen Interessen er zu vertreten hat, ernsthaft einen Verbleib bei oder einen Wechsel zu Hertha empfehlen? Hertha ist frisch abgestiegen, kann keine Spitzengehälter zahlen, es ist unklar, ob man überhaupt in Liga 2 antreten wird dürfen und kaum ein Spieler, der hier in den letzten Jahren angedockt hat, hat sich positiv weiterentwickelt, für viele war die Profikarriere danach abgeknickt. Esswein z.B. steigt gerade mit Sandhausen aus der zweiten Liga ab.
Mit welchen Spielern will man also planen, zumal man einerseits jedem Spieler die Erstligatauglichkeit abgesprochen hat und jeden als verkäuflich bezeichnet hat? Zumal man jeden Cent Ablöse benötigt und jeden Cent Gehalt einsparen muss? Herr Freitag soll bei Hertha bislang Gerüchten zufolge 6,7 Mio. € Gehalt verdient haben, pro Jahr wohlgemerkt! Falls nochmal jemand fragt, wo das Geld geblieben ist. Es geht eben auch sportlich nicht, ohne aufs Geld zu schauen. Hertha hat hier wie jeder andere Bundesligist an sich genügend Einnahmen generiert, die Umsätze sind ja stetig gewachsen.
Man hat einfach schlicht viel zu viel Geld ausgegeben und leidet bis heute unter diesen Wahnsinnsverträgen mit viel zu gut verdienenden Spielern, die keine Motivation fanden, sich einem anderen Verein sportlich anzubieten, weil sie niemals wieder so viel Geld wie bei uns verdienen werden und nach dem Aussitzen ihres Arbeitspapiers hier auch ausgesorgt haben dürften.
Und der Nachwuchs? Nun, die U23 hat in der viertklassigen Regionalliga Nordost einen mittelmäßigen 8. Tabellenplatz inne und ist auch dort nicht die Nummer 1 der Stadt, nicht einmal die Nummer zwei, denn sowohl Altglienicke als auch der neue Kooperationspartner von Hertha, der (puh, schwer durchatmend) BFC Dynamo, Lieblingsclub des Stasiministers Mielke, hat Hertha dort den Rang ab gelaufen. Und wer die Finalspiele der U19 gegen Dortmund gesehen hat, der wird auch wissen, dass sich da niemand wirklich für den Sprung in den Herrenfußball zwingend aufdrängelt bzw. die, die Perspektive haben, gerade dabei sind, den Verein zu verlassen. Wer will es ihnen auch verdenken?
Kein Geld, kein Plan, keine Hoffnung? Die Stimmungslage ist mies, die Voraussetzungen schlecht, im Verein herrscht mehr Spaltung als je zuvor, jeder will Kalif werden anstelle des Kalifen, neue Präsidenten von Hertha BSC umgibt zudem immer der Nimbus, in der ersten Saison ihrer Amtszeit abzusteigen, Gegenbauer ist das sogar zweimal gelungen, aber der konnte sich durch die niemals offiziell ausgesprochene, aber sehr wohl verstandenen Andeutung im Amt halten, dass dann Gelder eines ominösen Geheiminvestors und damit die Lizenzen in Gefahr seien. Ein Vorgehen, welches so vom aktuellen Amtsinhaber nicht zu erwarten sein dürfte. Aber wo steckt der eigentlich? Hat jemand etwas von ihm gehört seit dem Abstieg? Reden ist Silber, Schweigen ist Gold?
Dabei wäre es seine Aufgabe, Hoffnung und Zuversicht zu verbreiten, dass es für Hertha BSC eine Zukunft gibt. Dazu müsste man aber sagen, wie diese aussehen soll. Wer Webers Auftritt im Dopa heute gesehen hat, kann froh sein, dass die Sendung überwiegend Fans des gerade strauchelnden FC Bayern adressiert, wirklich gut vertreten hat der sympathische, aber immer etwas überfordert wirkende Benjamin Weber unseren Verein nicht. Und Hoffnung hat er auch keine gemacht, seine Ankündigung, dass Pal Dardai in jedem Fall eine Position im Verein innehaben wird, dürfte bei vielen Fans zudem eher nicht auf Gegenliebe stoßen. Dardais Punkteschnitt in dieser Saison sind magere 0,8 Punkte und die Erkenntnis, dass er es als Fehler betrachtet, Offensive zu üben.
Die Zukunft mag Berlin gehören, Hertha gehört sie im Augenblick nicht. Wir drohen, auf Jahre hinter Union zurückzufallen und uns droht ein ähnliches Schicksal wie den Münchner Löwen, die als Traditionsclub auch von einem neugegründeten Verein bis heute plattgewalzt werden. Zu gut ist man in Köpenick strukturell aufgestellt, auch wenn dort sicher nicht alles aus Silber ist. Was glänzt wie ein Hering im Mondenschein, stinkt bisweilen eben auch und Herthas Kernpublikum, welches mit der Spaltung der Stadt nichts anfangen konnte und welches zu Mauerzeiten immer eisern loyal zu den Freunden hinterm Stacheldraht gehalten hat, schreckt man mit der dort herrschenden Ostalgie ganz furchtbar ab.
Die Unioner sind aber nicht wirklich unser Problem, außer, dass sie uns aufzeigen, wie man es richtig machen kann. Als deren Präsident 2004 antrat, stieg man von der 2. in die Regionalliga ab und eine Saison später sogar in die Oberliga, wo man das damalige Stadtderby gegen den BFC vor über 14.000 Zuschauern absolvierte. Die Fans bluteten für Union, der Sportrechte-Investor Kölmel butterte noch einmal Geld in den Verein, aber das waren Peanuts im Vergleich zu dem, was Hertha braucht.
Es ist sicher nicht falsch, sich mit dem Szenario zu beschäftigen, dass Herthas Untergang gestern eingeläutet wurde. Aus eigener Kraft kann man sich weder sportlich noch finanziell irgendwie retten, noch scheint man einen Plan zu haben, wie eine solche Rettung aussehen soll. Hertha ist wie ein Ertrinkender, der nach seiner Rettung sofort wieder ins Wasser springt. Wie ein Junkie, der sich einen goldenen Schuss gesetzt und eine Nahtoderfahrung gemacht hat und sich doch gerade auf dem Löffel den nächsten Schuss aufkocht. Und wir schauen zu, leiden mit, erdulden langmütig den quälenden Prozess der Selbstzerstörung und lecken uns die Wunden.
Ich bin heute müde und zu orientierungs- und hoffnungslos, um mir eine blauweiße Zukunft vorzustellen. Die Baustellen sind so erdrückend, dass selbst ein Scheich nicht wirklich helfen würde, denn Herthas Problem sind ja nicht die Einnahmen gewesen, sondern die Vereinsstrukturen, die hemmungslose Ausgaben konsequenzlos durchgewunken haben und ohne Änderung wohl auch weiter durchwinken werden.
Ich weiß nach meinem 7. Abstieg mit Hertha nur, dass ich auch nächste Saison diesem Verein (oder einer Neugründung) die Daumen drücken werde und hoffe, dass es viele von Euch auch weiterhin tun werden.
HaHoHe, Euer Opa