(opa) Wir haben gestern nicht nur den Dom, sondern auch drei Punkte und eine große Menge an Resthoffnung zur Rettung in Köln gelassen. Mit großer Nervosität hab wohl nicht nur ich das Tablet angeschaltet, um mich auf der Terrasse an einem frühsommerlichen Abend nicht nur von Mücken, sondern vermutlich auch vom Hafer stechen zu lassen. Der Verlauf im Telegrammstil: Munterer Beginn, frühes Gegentor, Aufbäumen, Ausgleich, Führungstreffer, zwei Nackenschläge vor der Pause, Bruch, danach Schlachtfest und Untergang. Mit einer kleinen Träne im Augenwinkel erlebte ich noch die Interviews mit Spielern, deren Haare exzellenter saßen als ihre Arbeit zuvor auf dem Platz.
Ich weiß auch nicht, was ich am Ende schlimmer finde, da gestern so untergegangen und ans Tabellenende genagelt worden zu sein oder aber dass es rechnerisch immer noch möglich ist, sich zu retten, wenngleich wohl nur noch notorische Berufsoptimisten oder unbelehrbare Endsieggläubige noch an die Rettung glauben dürften, die in unserem Fall rechnerisch noch möglich ist, aber 5 Punkte Rückstand für einen sicheren Nichtabstiegsplatz Stand Samstagmittag wird man aus eigener Kraft nicht mehr aufholen können. Gewinnen zudem die unmittelbar vor uns stehenden Mannschaften ihre Spiele, wird es noch schwerer. Aber eben nicht unmöglich.
Und so verstehe ich jeden, den die Ungewissheit zermürbt. Es bedarf eines großen Maßes an Resilienz, um das Dasein als Herthaner zu erdulden. Die Leiden Christi waren vor Ostern, jetzt in der Zeit zwischen Auferstehung und Himmelfahrt sind die blauweißen Passionsspiele, eine Zeit, in der wir mit dem unabwendbar zum Glauben gehörenden Zweifel konfrontiert werden und wo uns einmal wieder bewusst werden sollte, wie wichtig die zweifelnden wie der Apostel Thomas sind und wie großartig das Sakrament der Vergebung.
Und egal, ob es Hertha nun schafft oder nicht, ob wir nächste Saison gegen Paderborn, Kiel und Kaiserslautern oder gegen Preussen, Schöneberg und Anadoluspor spielen, diese alte Dame und der im schlafenden Riesen steckende Spirit wird nicht totzukriegen sein. Hatte ich vor dem gestrigen Spiel noch gedacht, mir sei das mittlerweile egal, waren die Emotionen nach dem Spiel dann doch wieder da und mir wurde bewusst, dass mir das alles andere als gleichgültig ist. Aber auch hier bin ich dafür, dass das jeder so sehen kann, wie es sich für ihn gut anfühlt. Es gibt dabei kein richtig und kein falsch, höchstens Unioner 😉
Und so müssen wir die traurige Aufführung der strauchelnden Laienspielschar namens Herthamannschaft noch mindestens einen Spieltag erleben, bevor Klarheit herrscht, ob man nun runtergeht oder nicht. Und Spiele wurden in letzter Minute, in den letzten Sekunden noch gedreht. Man denke nur an 1999, als Ole Gunnar Solskjaer in der 93. Minute des Champignons-League-Finales das 2:1 für ManU erzielte, nachdem zwei Minuten zuvor sein Mannschaftskamerad Teddy Sheringham in einem Spiel ausgeglichen hatte, welches schon verloren schien. Beide Spieler dürften im Winter übrigens ablösefrei zu haben gewesen sein.
Am Sonntag steigt bei Hertha die Mitgliederversammlung, die sicher eine der turbulenteren werden dürfte. Leider werde ich aufgrund einer Terminkollision nicht teilnehmen können, aber ich bin mir sicher, dass die hier vorhandene Schwarmintelligenz die entscheidenden Links zu den Livetickern und Tweets zusammentragen wird, dass jeder, der nicht vor Ort sein kann, über das Geschehen informiert sein wird. Ich muss mich im wahrsten Sinne des Wortes um “anderer Leute Scheiß” kümmern, wir verlegen auf der Kolonie Abwasser und die dafür erforderliche außerordentliche Mitgliederversammlung muss vorbereitet werden, ohne übrigens, dass jemand bei uns auf die Idee käme, deshalb die Satzung zu ändern.
Bleibt standhaft und tragt voller Stolz Eure Herthafahne, es kommen wieder bessere Zeiten. Wenn es am Ende nicht gut ist, kann es nicht das Ende sein. Prost und HaHoHe, Euer Opa