(opa) So wie Samuel Becketts Stück der Inbegriff des absurden Theaters ist, ist die Fußballsaison 2020/21 wohl der Inbegriff des absurden Fußballtheaters. Während nahezu alle anderen Akteure der Unterhaltungsindustrie zum Nichtstun verpflichtet sind, darf sich der Fußball aus Gründen, die ohnehin kaum noch jemand versteht, in einer Blase bewegen, die die Aufrechterhaltung weiter Teile des Kerngeschäfts sicherstellen, was ohnehin immer mehr daraus zu bestehen scheint, Fernsehcontent zu erzeugen. Da auch die im letzten Jahr verschobene EM ein Teil dieses absurden Theaters ist, kommt der Fußball nun in die Bredouille.
Wie könnte es anders sein, spielt Hertha mal wieder eine Hauptrolle beim Sprung ins Fettnäpfchen. Dass einzelne Spieler coronainfiziert ausfallen, ist kein Novum, aber dass das gesamte Team in Quarantäne gesteckt wird, ist tatsächlich neu. Da ausgerechnet in diesen 14 Tagen gleich 3 Spiele ausfallen, macht die Aufgabe nicht einfacher. Wer etwas positives erkennen will: Es wird nicht langweilig bei Hertha. Was dem diese Saison gedrehten Dokumentarfilm sicher eine Wendung verleiht, die wohl im Bereich der Fiktion jeder als zu unrealistisch abgelehnt hätte.
Doch wer Heiner Müller Sprichwort kennt, dass derjenige, der Optimist ist, nur an einem Mangel an Informationen leidet, wird erkennen, dass Herthas ohnehin prekäre Situation nun noch ein Stück brenzliger geworden ist. Hertha steht auf dem Relegationsrang und könnte am Ende der Quarantäne auf einem Abstiegsrang stehen, wenn sich die Kölner nicht von dem gestern entfachten Sturm im Wasserglas um Aussagen des Trainers allzu sehr beirren lässt, dann holen sie gegen die nächsten drei Gegner Leipzig, Augsburg und Freiburg mehr als 3 Punkte, um dann vor dem direkten Aufeinandertreffen am vorletzten Spieltag vor Hertha zu stehen.
Wobei noch unklar ist, wann die Nachholspiele stattfinden werden, vielleicht kommt es auch anders, vielleicht fällt ja noch ein weiterer Club aus und sorgt für einen vorzeitigen Saisonabbruch und das Durchspielen der möglichen Szenarien hat ja schon begonnen und es dürfte nicht bei wenigen für Kopfschmerzen bereiten, die schlimmer sind als die, mit denen man normalerweise am Morgen nach einem Spieltag aufwacht.
Das, was Fußball für viele ausmacht, das zum Stadion fahren, mit den anderen Fans rumfrotzeln, rumpöbeln, singen, klatschen, lachen und sich ärgern, fehlt jetzt schon länger als ein Jahr. Was übrig geblieben ist, ist eine Fernsehsportart, die sich in einen Kokon zurückgezogen und noch mehr vom Stadionfan entfremdet hat, um das Geschäft am Laufen zu halten. Sehnsüchte nach dem “echten” Fußball kann dies aber nicht mehr befriedigen und daran dürfte sich auch nur wenig ändern, wenn eines Tages die Stadien wieder geöffnet werden.
Wäre früher ein Herthaspiel ausgefallen, hätte ich kaum gewusst, was ich sonst hätte machen sollen. Heute bin ich mir nicht einmal sicher, ob ich wirklich etwas vermisse. Die ehemalige Sportart des kleinen Mannes mit dem manchmal raubeinigen Charme ist heute etwas anderes als früher. Das mag sich Entwicklung nennen. Wer diesen Begriff noch aus der Nassfilmchemiefotografie kennt, wird sich erinnern, dass Entwicklung manchmal eben auch bedeutet, dass das Ergebnis nichts geworden ist.
Dass uns die Themen nicht ausgehen, dafür wird Hertha schon sorgen. Und die Diskussionen der letzten Tage zeigen, dass es Gesprächsbedarf gibt. Wenn nciht über Hertha, dann über anderes. Unsere Community hat die alte Dame als Halteklammer, aber wir können auch ohne. Und derzeit müssen wir auch ohne. Denkt dran, dass es nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs, sondern bei nahezu jeder Erkenntnisfindung mehr als ein richtig geben kann.
Wie verbringt ihr Euren zwangsweise herthafreien Frühlings-Sonntag (ich erspare Euch heute einen Liveticker, der ohnehin bislang nur aus Ausschlafen, Abwasch, Kochen und Formel 1 Vorberichterstattung gucken bestand)? Wie schätzt ihr Herthas Chancen auf den Klassenerhalt ein? Seid ihr noch Herthafans oder hat der eine oder andere schon aufgegeben oder gar die Seiten gewechselt? 😉
HaHoHe, Euer Opa