Veröffentlicht am Kategorien 1. Bundesliga, 2020, Allgemein

Final Countdown

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(opa) Mit einem One-Hit-Wonder-Ohrwurm, der seinerzeit sich wie eine Gehirnfräse durch unsere Köpfe fraß und der dem einen oder anderen beim Lesen dieser Zeilen im Kopf umherspukt, starten wir am heutigen Freitag, der in Berlin aufgrund gesetzlicher Bestimmungen als einmaliger Feiertag begangen wird. Dei Mai 2020 wird zumindest als der Monat der langen Wochenenden in die Geschichte eingehen. Und egal, ob man an diesem Tag nun feiern oder eher gedenken oder aufgrund der in der Familie erlittenen Schicksale von Flucht und Vertreibung trauern möchte, kann man es ja ganz pragmatisch sehen: Über einen freien Tag freut sich jeder.

In den letzten Tagen ging es in Sachen Fußball hoch her. Das Spektrum reicht von “endlich geht’s wieder los” bis “was soll der Scheiß?” und man muss kein Prophet sein, wenn diese Debatte am 16.5. erst richtig Fahrt aufnimmt, wenn uns der einzig verbliebene Bezahlsender die ersten Geisterspiele frei Haus liefert und das Ballgeschiebe mit dem Sound einer Frauenfußballpartie als Mega-Event zu verkaufen versucht und die gesamte von blondierten Schlauchbootlippen präsentierte Zombiemaschinerie von Wettanbietern & Co. präsentiert wird, die ihre Spots in jede freie Sekunde quetscht und sich wie seinerzeit Europe in die Köpfe zu fressen versucht und vermutlich doch überwiegend nur diejenigen erreicht, die ein Suchtproblem haben. Oder ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in Schleswig-Holstein 😉

König Fußball darf dann doch mehr Sonderlocken drehen als andere. Es ist verrückt, es ist widersprüchlich und damit irgendwie zutiefst menschlich. Liebe kann man nicht buchstabieren, man muss sie fühlen. Und Liebe muss manchmal auch “komische” Phasen des Partners erdulden, zumindest dann, wenn man es erleben möchte, eines Tages gemeinsam am Ententeich zu sitzen und auf ein erfülltes Leben zurückzublicken, in dem man sich gegenseitig eine Stütze war. Und manchmal eben auch Last. Man kann eben nicht nur oben auf der Schaumkrone schwimmen. Wer wüsste das besser als wir Herthaner?

Am 16.5. geht’s also für Hertha auswärts in Hoffenheim weiter. Besorgte Bürger können beruhigt sein, diesmal wird es keine Plakate gegen den Club-Eigner des gastgebenden Vereins geben und erstmals in der Geschichte der Sinsheimer Arena dürfte die echte Nachfrage nach Tickets größer sein als das Angebot. Einen Heimvorteil haben sie allemal, denn die Geisteratmosphäre dürfte man in Hoffenheim eher gewöhnt sein als in Berlin, wo sich unsere Spieler in dieser Saison ja bisweilen schon traditionell “verarscht” fühlen, entweder wie Niklas Stark vom eigenen Anhang oder wie Silberrücken Vedad Ibisevic von der eigenen Chefetage beim Blick auf die Gehaltsabrechnung. Hinterher Bedauern ausdrücken nicht vergessen. Rituale sind wichtig, auch im modernen Fußball.

Immerhin eines erreicht der Liga-Re-Start: Die Experten, die vorher auch ohne Trainerschein Aufstellungen besser wussten und in der Coronazeit nach einem halbstündigen Blick ins Internet und dem Konsum von einem Jebsen-Video zu Viren- wie Impfexperten wurden, haben nun wieder ein Thema, an dem sie sich etwas unverfänglicher abarbeiten können. Nicht nur Rituale sind wichtig, im Fußball braucht man auch Reflexe und die sind gut trainiert worden in den letzten Wochen des Stillstands. Durch Reflexe entsteht auch Handlungsschnelligkeit (Huhu, ElfterFreund!).

Wie wird also das neue Trainerteam rund um Bruno Labbadia die Mannschaft ein- und aufstellen? Gelingt zur Premiere gleich ein Auswärtssieg? Oder wirken die Querelen um die falschen Gehaltsabrechnungen nach? Wie werden die Spieler sich nach einem Tor verhalten? Abklatschen? Sich umarmen? Oder findet Rudelbildung vorm Schiri nur mit Maske in 2 Meter-Abstand statt? Ich persönlich halte diesen Neustart ja für absurd, aber ich verstehe durchaus, dass sich andere über die damit einhergehende Ablenkung freuen. Und ich verurteile niemanden, nur, weil der eine andere Meinung hat.

Und so können wir am 8. Mai vielleicht auch über unsere Diskussionskultur innehalten. Richard von Weizsäcker appellierte am 8. Mai 1985 auch an das Miteinander unterschiedlicher Herkünfte und Standpunkte:

Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Haß

gegen andere Menschen,

gegen Russen oder Amerikaner,

gegen Juden oder gegen Türken,

gegen Alternative oder gegen Konservative,

gegen Schwarz oder gegen Weiß.

Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander.

Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag

Ich finde diese Rede bis heute elektrisierend, weil man in jeder Zeile die innere Zerrissenheit spüren kann. Und sie ist bis heute aktuell, wenn man diesen Tag nicht nur “ritualisiert”. Zum Miteinander Leben gehört Diskurs und auch, an diesem Tag nicht feiern zu wollen. Leider geht es heutzutage vielen nicht mehr um Diskurs. Der Wissenschaftler Hamed Abdel-Samad hat das letzte Woche hier so ausgedrückt und nennt als Beispiel auch den Fußball:

Lernen wir also wieder Diskurs. Es wird uns gut tun. Damit der “final countdown” noch lange auf sich warten lässt.

HaHoHe, Euer Opa

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